«Der globale Kapitalismus mit seiner Basis im Westen ist in einer revolutionären Krise.» Das ist die These des Historikers Ulrich Gausmann, der mit einem Buch Beispiele für praktische Auswege aus dieser systemimmanenten Krise zeigt. Unter dem Titel «Wirtschaft und Finanzen neu gedacht – Revolution der Menschlichkeit» beschreibt er konkrete Alternativen, die es heute schon gibt.
Am Montag hat Gausmann das Buch im «Sprechsaal» in Berlin-Mitte vorgestellt, innerhalb der Reihe «Denkraum» des Kulturkreises Pankow. Dabei erklärte er, dass der Ausgangspunkt der aktuellen Probleme die Finanzkrise 2007/2008 war. Mit den damaligen Protesten gegen die Macht der Banken und die regierende Finanzpolitik sowie deren Folgen sei auch eine breite Bewegung der Suche nach Alternativen entstanden.
Dr. Ulrich Gausmann am 15. April in Berlin (Foto: Tilo Gräser)
Zugleich sei die Politik im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie ab 2020 – Gausmann sprach von «Plandemie» und verwies dabei auf die vorausgegangenen Planspiele dazu – eine Antwort der Herrschenden auf die angestiegenen Proteste.
«Die revolutionäre Krise besteht darin, dass die Regierungen die Bevölkerungen als Geiseln und in Gefangenschaft genommen haben und sie diese aus der Geiselhaft jetzt nicht mehr entlassen können und auch nicht wollen.»
Die Herrschenden könnten «den Geist, den sie in der Flasche haben, nicht aus der Flasche lassen». Würden sie das tun, würden sie damit eine weltweite Gegenbewegung in Richtung auf Selbstbestimmung und Freiheit quasi einladen, so der Historiker und Autor.
Der erste Schritt
Die Befreiung aus dieser Gefangennahme und Geiselhaft sei der erste wichtige Schritt. Dann könne «mit dem Aufbau einer anderen neuen Welt» begonnen werden. Dieser habe aber bereits begonnen, fügte Gausmann hinzu und belegte das mit einigen Beispielen aus seinem Buch.
Er hatte sich dafür mit Theoretikern wie auch Praktikern getroffen, mit Menschen, die über Alternativen nachdenken, wie auch mit jenen, die sie ausprobieren und leben. Das reicht von Genossenschaften und Mieter-Syndikaten über Energiewendedörfer und Zukunftskommunen bis hin zu «Gallischen Dörfern» und Projekten im digitalen Bereich und alternativen Medien.
Für sein eigenes Buch hat Gausmann die anderer Autoren gelesen und sich mit deren Thesen auseinandergesetzt. Dazu gehört die vom «Ende des Kapitalismus» der Journalistin Ulrike Herrmann. Diese übe massive Kritik an der Wachstumsideologie und fordere über «grünes Schrumpfen» einen Quasi-Rückschritt in die Zeit von 1973/74.
Das sei die Zeit gewesen, als der sogenannte Wohlfahrtskapitalismus der Nachkriegszeit an sein Ende gekommen sei, mit OPEC-Boykott und «autofreien Sonntagen», mit beginnender Inflation und steigender Arbeitslosigkeit, erinnerte der Historiker. Herrmann fordere den Verzicht auf vieles, nicht nur auf den Flugverkehr, und habe sich den britischen Kriegskapitalismus von 1941 als Vorbild und Blaupause genommen. Gausmann dazu:
«Wenn man heute mal die aktuelle Politik guckt, könnte man fast denken, das wäre eine Anleitung.»
Die Journalistin gebe in ihrem Buch aber keine Antwort auf die Frage, wie so etwas heute umzusetzen sei. Dagegen habe unter anderem Erik Olin Wright mit seinem Buch «Reale Utopien – Wege aus dem Kapitalismus» klassische Reformideen aufgezeigt. Bei diesen sei es aber darum gegangen, Wege über den Kapitalismus hinaus zu finden, – «praktisch das vorwegzunehmen, wie es sein könnte, wenn es so wäre, wie wir heute bereits leben».
Ideen und Projekte
Gausmann verwies bei seinem Vortrag in Berlin auf weitere interessante Bücher wie die von Raul Zelik, Elmar Altvater und Elinor Ostrom, die sich auf die Suche nach möglichen Alternativen begeben haben. Zu den praktischen Beispielen dafür, wie Menschen bereits heute einen Ausstieg aus dem Krisenkapitalismus ganz praktisch versuchen, die der Autor anführte, zählen die Energiewendedörfer.
Es gebe in Deutschland bereits 167 solcher Orte, die 100 Prozent ihres Stroms selbst produzieren, oft aus biologischen Materialien und Resten der Landwirtschaft. Sie würden zudem mit Solartechnik bereits 50 Prozent ihrer benötigten Wärmeenergie selbst produzieren und hätten begonnen, selbst Treibstoff herzustellen. Die Bewegung habe der Psychologe und Umweltexperte Peter Schmuck ins Leben gerufen.
Gausmann beschreibt in seinem Buch das Beispiel Rettenbach am Auerberg (Allgäu). Das Energiewendedorf habe sogar seine eigene Regionalwährung, den «Weichtaler» eingeführt. Der könne nur im Ort ausgeben und umgesetzt werden und sei so gross wie das frühere bundesdeutsche 5-Mark-Stück.
Er habe mit dem Bürgermeister gesprochen, berichtete der Historiker. Der Bürgermeister habe ihm das Dorf gezeigt und auch, was mit dem «Weichtaler» alle bezahlt werden kann: vom Einkauf über die Handwerker bis zur Bezahlung der Grundsteuer. Selbst die Sitzungsgelder des Bürgermeisters und des Gemeinderates würden damit bezahlt. Dem Dorf geht es laut Gausmann gut und es habe sogar seine eigene Rapsbenzin-Tankstelle aufgebaut.
Im Vortrag beschrieb er weitere Beispiele wie die Gartenring-Dörfer, die Pflegebauernhöfe und die Bewegung «Society 4.0» in den Niederlanden. Diese vom Soziologen Bob de Wit in der Corona-Krise ins Leben gerufene Bewegung habe sich inzwischen zu einem grossen Netzwerk entwickelt, einschliesslich von Komplementärwährungen.
Die Gegenbewegung der Macht
Dazu gehören das regionale Wirtschaften und die regionale Währung ebenso wie die regionale Digitalinfrastruktur und die Energieversorgung vor Ort. Aber auch andere gesellschaftliche Bereiche wie Gesundheit und Wohnen würden in regionaler Verantwortung neugestaltet.
Laut Gausmann strahlt «Society 4.0» bereits über die Niederlande hinaus, so auch nach Deutschland. Hier habe die Initiative «Menschlich wirtschaften» auch die Impulse aus dem Nachbarland aufgenommen und orientiere sich an den Ideen von Rudolf Steiner über die Dreigliederung der Gesellschaft.
Der Autor sprach auch über die Versuche der herrschenden Kreise, die Gesellschaft weiter unter Kontrolle zu halten und die Krisenkosten auf diese abzuwälzen. Dazu gehöre der ab dem 1. Januar 2024 geltende «Lastenausgleich».
Dieser ermögliche es dem Staat, bei Bedarf und mit Hilfe von «Notstandsgesetzen» auf die Vermögen und das Eigentum der Bürger zuzugreifen, um diese zu enteignen. «Alle Immobilien, alle Versicherungen, Bargeld, auch Rentenansprüche sind davon betroffen», so Gausmann.
Ein anderes Beispiel ist die Behörde der Europäischen Union (EU) namens AMLA (Anti-money-laundering authority), die offiziell Geldwäsche bekämpfen soll. Sie wird ihren Sitz in Frankfurt/Main haben und soll Mitte 2025 ihre Arbeit aufnehmen. Diese besteht laut dem Autor unter anderem in der Verknüpfung der Daten über die wirtschaftlichen Eigentümer sowie zu einem EU-Vermögensregister.
Die AMLA erhalte einen umfangreichen Informationszugang sowie drakonische Sanktions- und Eingriffsrechte, vor allem gegenüber Banken, aber auch gegenüber Privatpersonen. Diese Behörde solle Zugang zu allen digital gespeicherten personenbezogenen Daten erhalten – «eine Datenverknüpfung, die es in diesem Masse europaweit noch nie gab».
«Revolution von ganz unten»
Die verschiedenen Aspekte der Suche nach Alternativen zum krisenhaften System, dessen Träger ihre Macht ausbauen wollen, sind so vielfältig wie die grundlegenden Probleme. Das zeigte der Buchautor in seinem Vortrag, in dem er auch auf die Idee von Silvio Gesell über ein neues Geldsystem und historische Versuche dazu wie den der Gemeinde Wörgl im 20. Jahrhundert einging. Wie im Buch beschrieb er Beispiele, wie Menschen auch im Bereich der Finanzen nach Alternativen suchen, von Tauschringen bis zu Komplementärwährungen.
Ebenso sprach er über die Möglichkeiten, mit Hilfe der Digitaltechnologien Formen radikaler Demokratie zu entwickeln. Und er ging auf die globale Suche nach Alternativen zum dominierenden westlichen System ein, wie sie sich beim Zusammenschluss der BRICS-Staaten zeigt, der immer mehr Zulauf bekommt.
Gausmann beschrieb die gegenwärtige Situation in Ländern wie Deutschland, mit totalitären Massnahmen, Aussetzung von Grundrechten, Pressezensur, mit dem Begriff von der «Hegemonie durch Zwang». Den hatte der italienische Kommunist Antonio Gramsci geprägt.
Im Vortrag erklärte der Autor – wie auch im Buch –, dass nur eine «Revolution von ganz unten» aus dem kapitalistischen Krisensystem herausführen könne. Dazu gehöre eine neue politische Kultur, «die sich vom bürgerlichen Individualismus wegbewegt und einen umfassenderen Blick auf Fragen des menschlichen Überlebens und der gemeinsamen Verantwortung ermöglicht».
«Kapitalistische Profitwirtschaft kann diese Gesamtsicht nicht herstellen», schreibt Gausmann am Ende seines Buches. Er setzt seine Hoffnung auf «attraktivere Zukunftsentwürfe als die blosse Fortschreibung der Katastrophen der kapitalistischen Raubwirtschaft», um das irdische Leben durch eine «Revolution der Menschlichkeit» wiederzugewinnen.
Buchtipp:
Ulrich Gausmann: «Wirtschaft und Finanzen neu gedacht – Revolution der Menschlichkeit»
Massel Verlag 2023. 344 Seiten; ISBN 9783948576073, 25 Euro
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