Der iranische Vergeltungsangriff auf Israel am 14. April mit mehr als 300 Drohnen und Raketen sei in Absprache mit Teheran und Moskau von der israelischen Luftabwehr und Partnerländern bis hin zu Jordanien und Saudi-Arabien abgewehrt worden. Das schreibt der investigative Journalist Seymour Hersh in einem am Mittwoch veröffentlichten Beitrag. Danach habe das US-Militär der iranischen Führung zugesichert, den Angriff ungehindert starten zu können, wenn die Raketen abgeschossen und massenhafte zivile Opfer in Israel verhindert werden können.
Hersh schreibt von der «Genialität des Planungsstabes im Pentagon und der operativen Offiziere», die den Plan umgesetzt hätten. Die führenden US-Militärs hätten sich der Aussenpolitik des Weissen Hauses widersetzt und gar mit einem russischen General zusammen Ayatollah Khamenei, den Obersten Führer des Iran überzeugt, dass der Plan funktioniere.
Der Journalist beruft sich auf einen beteiligten US-Regierungsbeamten, demzufolge US-Präsident Joseph Biden den hochriskanten Plan akzeptiert habe, als er davon in Kenntnis gesetzt wurde. Biden habe daraufhin Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aufgefordert, nicht auf den iranischen Schlag zu reagieren.
Es sei um die Kontrolle der iranischen Reaktion gegangen, um eine «militärische Lösung für ein politisches Problem», zitiert Hersh seinen Informanten. In Washington sei befürchtet worden, «dass Netanjahus Reaktion auf einen erfolgreichen Drohnen- und Raketenangriff wie in Gaza überwältigend ausfallen würde. Ein grösserer israelischer Vergeltungsschlag könnte leicht zu einem unerwünschten Krieg im Nahen Osten führen.»
Die US-Militärs hätten sich mit den verantwortlichen Militärs in den europäischen Nato-Staaten abgesprochen – und informell mit einem hochrangigen General in Russland. Der sei gefragt worden, was der Iran wolle, worauf als Antwort kam: Rache und beweisen, dass sie zurückschlagen können.
Ein «genialer Plan»?
Daraufhin sei der «geniale Plan» entstanden, «mit Zustimmung des Irans die rasanten Fortschritte bei der Raketen- und Drohnenabwehr zu nutzen, damit der Ajatollah diese Raketen abfeuern und sich rächen kann, während er weiss, dass die Luftstreitkräfte Amerikas, Europas und des Nahen Ostens sie alle aufspüren und zerstören würden».
Israels Regierung sei vor die Wahl gestellt worden: Erstens, «leicht gewinnen» und die US-geführte Koalition die Raketen zerstören lassen; oder zweitens, «auf die harte Tour verlieren» und mit Gewalt auf den gescheiterten Angriff reagieren. Für die zweite Variante sei den Israelis gesagt worden, dass sie dann auf sich allein gestellt wären.
Das Weisse Haus sei bei der Planung aussen vor gelassen worden, weil es einen solchen offiziell nie gebilligt hätte. Biden habe dann aber zugestimmt und die Israelis zur Zurückhaltung aufgefordert. Die vom Iran abgefeuerten Drohnen und Raketen seien für die Kampfflugzeuge aus den USA, aus Jordanien, Grossbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien und Israel ein leichtes Ziel gewesen, so Hersh.
Er schreibt: «Die von den Amerikanern geleitete Operation war ein voller Erfolg, nur wenige Geschosse drangen in die israelischen Grenzen ein.» Es habe offiziell nur ein Todesopfer gegeben, ein kleines Beduinen-Mädchen. Auch der israelische Atomreaktor bei Dimona, wo laut Hersh seit mehr als 50 Jahren Atombomben hergestellt werden, sei nicht in Gefahr gewesen.
Hersh als Propaganda-Verbreiter?
Doch das, was der Journalist seinen Informanten als «mutig» bezeichnen lässt, wofür es keinen Fehlerspielraum gegeben habe, kann Propaganda sein, die Hersh gezielt untergeschoben wurde. Das meint dazu der ehemalige CIA-Mitarbeiter und Antiterror-Spezialist Larry Johnson in einem ebenfalls am Mittwoch veröffentlichten Beitrag auf seiner Webseite. Er schreibt:
«Ich weiss nicht, was mit meinem Freund geschehen ist. Er wird benutzt, um Propaganda zu verbreiten.»
Johnson bezeichnet die Vorstellung eines geheimen Deals der USA mit dem Iran und einem russischen General als «lächerlich». Aus seiner Sicht macht Hersh den Fehler, «dass er das, was ihm seine hochrangige Quelle erzählt hat, für bare Münze genommen hat».
Der Ex-CIA-Mann zweifelt an, dass die iranische Führung sich von einem russischen General habe überreden lassen, die eigenen Drohnen und Raketen abschiessen zu lassen.
«Was hat der Iran davon? Die westliche Propaganda zu füttern, dass die iranischen Raketen scheisse sind und Israels Luftabwehrsystem unübertroffen ist?»
Er widerspricht der Legende von einem «gefälschten Raketenangriff», der erfolgreich abgewehrt werden konnte. Die an Hersh gegebenen Informationen seien eine «Tarngeschichte, um zu verbergen, was CIA-Direktor Bill Burns getan hat».
Geheime Gespräche des CIA-Chefs?
Johnson verweist auf das, was der brasilianische Journalist Pepe Escobar am 15. April in seinem Telegram-Kanal berichtete: Danach traf sich Burns vor dem iranischen Angriff in Oman mit einer Delegation aus Teheran.
«Ihm wurde gesagt, die Bestrafung Israels sei unvermeidlich - und wenn die USA sich einmischten, würden alle US-Stützpunkte angegriffen und die Strasse von Hormuz blockiert werden. Burns sagte, wir würden nichts unternehmen, wenn keine Zivilisten zu Schaden kämen. Die Iraner sagten, es werde eine Militärbasis oder eine Botschaft sein. Die CIA sagte, macht weiter und tut es.»
Aber Escobar gibt dabei keine genaue Quelle an. Burns bezeichnete laut Medienberichten am Donnerstag offiziell den iranischen Vergeltungsangriff als «spektakulären Fehlschlag». Von den gestarteten 330 iranischen Raketen seien nur vier oder fünf tatsächlich in Israel eingeschlagen und hätten keinen nennenswerten Schaden angerichtet, was an die Qualität des israelischen Militärs erinnere.
Der Ex-CIA-Mitarbeiter Johnson schreibt dagegen, der Iran habe die erste Welle von Drohnen «als blosse Spielfiguren in einem ausgeklügelten militärischen Schachspiel» gestartet.
«Die Iraner rechneten fest damit, dass diese Drohnen abgeschossen werden würden. Diese erste Angriffswelle lieferte dem Iran wichtige Informationen über die Aufstellung und die Fähigkeiten des israelischen Iron-Dome-Systems.»
Die nächste Welle aus Marschflugkörpern sei nur wenige Minuten nach den Drohnen eingetroffen und habe den iranischen Analytikern zusätzliche Informationen über Israels Luftabwehrsystem geliefert.
«Es war der dritte Teil des Angriffs - die ballistischen Raketen, die drei verschiedene israelische Militäreinrichtungen trafen.»
Israel wehrlos gegen Irans Raketen?
Während Israel darauf bestehe, dass keine nennenswerten Schäden entstanden seien, sei es israelischen Reportern nicht erlaubt worden, diese Einrichtungen zu betreten und Live-Videos von den angeblich nicht vorhandenen Schäden zu zeigen. Johnson schreibt:
«Israel hatte keine Antwort auf diese Raketen. Das war die Botschaft, die der Iran aussandte. Der Iran kann Israel mit ballistischen Raketen angreifen, nachdem er sein Luftabwehrsystem überwältigt hat, und Israel kann nichts tun, um den Iran aufzuhalten.»
Der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter und UN-Waffeninspekteur Scott Ritter hatte am Mittwoch in einem Video-Gespräch mit dem britischen Politiker George Galloway von einem «grossen iranischen Sieg» gesprochen. Ritter sagte:
«Die iranische Regierung hat eine öffentlich wahrnehmbare Abschreckungspolitik etabliert. Sie hat Israel – und nicht nur Israel, sondern auch die USA und jede andere Nation in Raketenreichweite – wissen lassen, dass ein Angriff auf iranisches Territorium einen hohen Preis haben wird.»
Der Iran habe getroffen, worauf er mit den ballistischen Raketen gezielt habe, ohne die Ziele zerstören zu wollen. Und auch Ritter betonte, es habe nichts gegeben, «was Israel hätte tun können, um diese Raketen daran zu hindern, ihr Ziel zu erreichen». Der frühere US-Militärgeheimdienstmitarbeiter wies darauf hin, dass Teheran den Vergeltungsschlag vorher ankündigte.
«Wenn sie einen tödlichen Angriff hätten durchführen wollen, warum sollten sie ihn fünf Stunden vorher ankündigen? Warum Israel die Chance geben, seine wertvollen Anlagen von den gefährdeten Stützpunkten abzuziehen? Warum sollte man den USA, Grossbritannien und Frankreich die Chance geben, ihre Ressourcen zu verlegen – Schiffe, Flugzeuge über Jordanien, – um diese Raketen abzufangen?»
Haben Militärs einen grossen Krieg verhindert?
Ritter sagte, der Iran habe Israel gezeigt, wozu er in der Lage ist. Er könne garantieren, «dass es Leute wie mich gibt, die in Uniform oder als Geheimdienstoffiziere genau dieselbe Analyse durchführen und lange kritische Berichte die Befehlskette hinauf schreiben». In diesen sei zu lesen:
«Hört auf mit diesem Unsinn. Wir können diesen Krieg nicht gewinnen. Es ist vorbei, Leute. Hört auf! Wir haben hier keine Verteidigung mehr. Wenn Iran einmarschiert, sind wir machtlos. Das wird unkontrollierbar eskalieren. Sorgen Sie dafür, dass dies jetzt aufhört.»
Das sieht Ritter anders als Hersh als Grund dafür, dass US-Präsident Biden mit den G7-Staaten telefoniert habe, um bei Israel zu intervenieren, und auch mit Netanjahu gesprochen habe. Die israelischen Generäle hätten dem Ministerpräsidenten erklärt: «Halten Sie sich zurück. Wir können diese Schlacht nicht gewinnen.»
Inzwischen wird gemeldet, dass Israel mehrere Drohnen auf den Iran startete. Der Angriff sei als Vergeltung für Teherans Drohnen- und Raketenbeschuss am vergangenen Wochenende ausgeführt worden, berichtete die Washington Post.
Der Drohnenangriff ins iranische Landesinnere sei erfolgt, um zu zeigen, dass die iranische Luftabwehr schwächer sei als die Israels. Laut iranischen Angaben wurden die «kleineren Flugobjekte» gesichtet und abgeschossen und hätten keinen Schaden angerichtet.
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